Wir streiten uns oft, ob Wählen etwas bringt.
„Es bringt nix“, murmeln viele.
„Falsch! Deine Stimme ist wertvoll!“, kreischen Promis in Youtube-Filmchen, der gute Ton und das Gewissen der Aufgeklärten.
Wir streiten uns immer so, als gäbe es nur eine richtige Antwort.
Der Punkt ist: Es stimmt beides.
Es gibt eine Gruppe Menschen, die erlebt bei jeder Wahl, dass ihre Stimme wertvoll ist.
In Deutschland wählen diese Leute CDU, CSU, SPD, Grüne und FDP.
Weil sie wirklich für diese Parteien sind oder weil sie sich für das kleinste Übel entscheiden.
Wer diese Parteien in Deutschland wählte, konnte sich – bislang – sicher sein, am Morgen nach der Wahl noch im selben System aufzuwachen.
Denn – bislang – auch wenn eine andere Partei von dieser Liste gewann, war das im Endeffekt gar nicht so schlimm – etwas anderes passierte nie.
Zwar gibt es Unterschiede zwischen den Parteien: Homoehe, Mindestlohn, Kohlekraftwerke, Steuererleichterungen.
Aber bei den ganz großen Fragen gibt es diese Unterschiede nicht: Kapitalismus, Globalisierung.
„Einheitspartei!“, brüllen inzwischen der Stammtisch und die Straße.
Das ist Quatsch und große Einigkeit zwischen den Parteien hat viele Vorteile.
Wir sind seit 1945 – bislang – ein hochgradig stabiles Land.
Schlägt mal die AfD quer, können immer noch CDU, SPD und Grüne koalieren wie in Sachsen-Anhalt.
Diese Parteien tragen das System.
Die Wähler von CDU, CSU, SPD, Grüne und FDP tragen diese Parteien.
Die Wähler haben also ein Erfolgserlebnis, wenn nach dem Wahltag das System besteht.
Sie spüren, dass ihre Stimme einen Wert hat.
Dass auch noch Millionen andere Menschen so abstimmen, schmälert das Erlebnis nicht.
Der Mensch ist eitel: Meine Stimme ist wertvoll.
Dann gibt es noch eine zweite Gruppe, die am Wahltag kein Erfolgserlebnis hat.
Diese Gruppe besteht aus den Verlierern des Systems und solchen, die sich als Verlierer fühlen.
Diese Leute wählen eine Partei oder gar nicht.
Sie wachen – bislang – am Morgen nach der Wahl aber immer in einem System auf, in dem sie Verlierer bleiben.
Das wissen sie auch schon vorher, sie sind nicht dumm.
Doch – bislang – konnten sie nichts wählen, das diese Routine aufbricht.
Wenn die Welt übel ist, gibt es kein kleineres Übel, das man wählen kann.
Ihre Stimme hat für sie keinen Wert.
Dann fühlt sich Wählen albern an, sonntags kann man was Sinnvolleres machen.
Donald Trump hat zwei Sachen geschafft.
Er hat die Gruppe der sich als Verlierer Fühlenden vergrößert.
Und er hat ihnen ein Angebot gemacht: Ich mache Deine Stimme wertvoll!
Er hat zwar auch gesagt, dass er alle Probleme löst und Amerika wieder großartig macht.
Darum ging es aber nie.
Das Entscheidende war: Wer Trump wählte, hatte die Chance, am nächsten Morgen in einer anderen Welt aufzuwachen.
In dieser Welt würden die Gewinner des bisherigen Systems nichts zu lachen haben.
Daran haben diese Gewinner im Wahlkampf auch keinen Zweifel gelassen: Promis, die Wall-Street, etablierte Politiker – alle haben sich auf Hillarys Seite geschlagen und panisch vor Trump gewarnt.
Wer Trump wählte, konnte all diesen Menschen eins auswischen.
Diese Möglichkeit hatte man bislang nicht.
Man konnte zwar auch in Amerika Nazis wählen, aber wen interessierten schon Ergebnisse im Unter-ein-Prozent-Bereich?
Trump hat also den Stimmen vieler Menschen einen Wert gegeben.
Das alles verstehen wir Auf- und Abgeklärten nie so richtig.
Für uns ist Demokratie immer mit einem vernünftigen Ergebnis verbunden.
Wir sagen, die AfD ist undemokratisch.
Tatsächlich heißt Demokratie aber: die Herrschaft des Volkes.
Nicht: Das Volk entscheidet vernünftig.
Trump hat vielen Menschen Herrschaft – eben eine unvernünftige – zurückgegeben.
Das ist nachvollziehbar aber katastrophal.
Wie kann nun eine Lösung aussehen?
Im Amerika-Trump können wir von Deutschland aus wenig mitmischen.
Wir können aber verhindern, dass in Deutschland das Gleiche passiert.
Dazu müssen wir allen eine Stimme geben.
Nicht nur theoretisch, sondern ganz praktisch.
Dabei ist das Dümmste, was man machen kann, die Stimmen der Verlierer niederzuschreien.
„Ihr seid alle Nazis und werdet hier nie etwas zu sagen haben!“
Symbolisch dafür ist die SPD-Kampagne „Meine Stimme für Vernunft“.
Das kannste natürlich schon so machen, aber am Wahltag geht es eben nicht um Vernunft.
Klug – und richtig – wäre es, den sich als Verlierer fühlenden ein Angebot zu machen, bevor es jemand anderes tut.
Trump, Petry, Satan, Beelzebub.
So ein Angebot enthält nicht die Wörter: 8,50 Euro, „mit Augenmaß“, Beitragsbemessungsgrenze, „Politik ist das Bohren dicker Bretter“, kein Weiter-so und „Danke für gute Gespräche, gerne wieder!“.
Jede Partei, die linken allen voran, können sich einen abeiern, wie sie wollen.
Sie werden nie rechtfertigen können, warum in Deutschland manche Sozialarbeiterin weniger als Hartz-IV verdient und ein Vorstandsvorsitzender mit Millionen nach Hause geht.
Es muss um den großen Wurf gehen.
Wer sich als Verlierer fühlt, dem ist mit etwas Verbesserung zu wenig geholfen.
Dem ist nicht mit einer erdrückenden Stabilität und der Staatsverantwortung der SPD geholfen.
Politische Ideen sind da das eine.
Eine Sprache, die die Betroffenen verstehen und die sie berührt das andere.
Die Welt muss dabei nicht von heute auf morgen perfekt werden.
Aber solange keine gute Partei den Systemverlierern einen Weg aus der Krise zeigt, werden es die schlechten machen.
Und was unsere Parteien machen, hängt nicht von den Clintons, Merkels, Seehofers und Gabriels dieser Welt ab.
Sondern von jedem von uns.
Mutig sein.